In Trainings zu Six Sigma oder Lean Management kommt immer wieder eine Frage auf: Verhindert das Streben nach Effizienz nicht jegliche Form der Innovation? Dahinter steckt die Hypothese, dass Standards keine Freiräume mehr für Kreativität zulassen. Außerdem ist einer der Hauptkritikpunkte, dass es nicht nur um Effizienz – also die Frage nach dem „Wie“ – gehen kann, sondern es an erster Stelle um Effektivität – die Frage nach dem „Was“ – gehen muss. Diese Befürchtungen werden vor allem von Teilnehmern mit einem eher psychologisch geprägtem Human Resource – Hintergrund geäußert. Da dieser Vorwurf mit der Zuverlässigkeit eines Schweizer Uhrwerks auftritt, soll die Frage hier behandelt werden.

Klären wir zunächst, ob die Vermutung ihre Berechtigung hat. Kann durch Operational Excellence Innovation verhindert werden? Dafür sollen drei Beispiele angeführt werden:

1. Häufig werden Operational Excellence – Methoden entweder im besten Falle halbherzig oder im totalen Gegensatz dazu extrem dogmatisch angewendet. Der erste Fall ist ein Kommentarbeitrag für sich selbst wert. In diese Kategorie fallen so typische Schutzbehauptungen wie „Bei uns ist alles anders“ oder „Nur, weil das in der Automobilindustrie funktioniert, heißt es noch lange nicht, dass man das auch hier anwenden kann“, die dem Schlendrian, der Faulheit und der Veränderungsunlust Tür und Tor öffnen sollen. Für unsere Frage wichtiger ist aber der zweite Aspekt der dogmatischen Methodenumsetzung. Dieses Phänomen tritt meist erst ab einem gewissen Expertenstatus besonders unter den gewissenhaften und aufgabenorientierten Managern auf. Da wird jedes Six Sigma – Werkzeug angewendet, nur weil es so im DMAIC steht. Oder da wird die zweiundzwanzigste Zertifizierung verlangt und durchgeführt. Ob dadurch auch die reale Managementkompetenz und nicht nur der Multiple-Choice Scorewert erhöht wird, bleibt fraglich?

2. Ein weiteres weit verbreitetes Phänomen in Operational Excellence – Initiativen ist der enorme Aufwand, der für das Projektmanagement selbst betrieben wird. Da wird häufig mehr Zeit in die Pflege von Werkzeugen des Projektmanagements als in das Management des Projekts selbst gesteckt. Stunden-, tage- oder gar wochenlange Diskussionen über Powerpoint – Folien, Matrizen, Excel – Aktionslisten und Meilensteinpläne, Newsletter und Info-Veranstaltungen. Mag sein, dass dies gerade in komplexeren Organisationen zum Teil auch in der Natur der Sache liegt. Andererseits lässt sich vielleicht auch die Redewendung „Wer schreibt, der bleibt“ an dieser Stelle passend anbringen. Und so wird Projektmanagement gelegentlich auch zum Selbstzweck. Vor allem hier gilt das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens, dass jeder Student Wirtschaftswissenschaften ab dem 1. Semester kennen sollte.

3. Checklisten, Arbeitsanweisungen, Standards, Verfahrensbeschreibungen und Vorschriften sind in gewissem Umfang hilfreich. Schnell entwickelt sich hieraus aber ein chaotisches System und undurchschaubares Dickicht. Dies verhindert eine persönliche Kommunikation, da man sich ja immer hinter den firmeninternen Paragraphen verstecken kann. Dabei spielt die rechtliche Absicherung, z.B. zur Arbeitssicherheit, oftmals eine höhere Rolle als die Wirksamkeit der Maßnahmen selbst. Wohin eine solche Überregulierung führen kann, zeigt uns anschaulich das deutsche Steuersystem.

Dies beweist zwar noch nicht die Allgemeingültigkeit unserer Eingangshypothese, dennoch reichen die angeführten Beispiele aus, um der Kritik ihre grundsätzliche Berechtigung zuzusprechen.

Bedeutet dies nun, dass Operational Excellence per se der Feind jeglicher Innovation und Kreativität ist? Ein ganz klares NEIN! Denn zunächst einmal ist es ein grundsätzliches Missverständnis, dass Operational Excellence nur auf die Effizienz schaut, da sich die Anwendung der Methode direkt von der Unternehmensstrategie ableitet bzw. ableiten sollte:

Operational Excellence ist die Ausrichtung des Unternehmens an der Gesamtstrategie durch die kontinuierliche und dynamische Optimierung sämtlicher Prozesse und Systeme entlang der Wertschöpfungskette unter dem Gesichtspunkt der Effizienz durch eine Fokussierung auf die Anforderungen der Kunden und einer Ursachen- statt Symptombehebung.“

Des Weiteren wird ein ganz wesentlicher Punkt verkannt: Operational Excellence fördert eine dynamische Unternehmenskultur. Gute Operational Excellence – Programme binden Mitarbeiter vor Ort in den Veränderungsprozess mit ein, statt sich nur hinter Power Point – Folien zu verkriechen. Wer mal einen Kaizen – Workshop miterlebt hat, wird bezeugen können, dass bei guter Workshop – Moderation die Mitarbeiter den Workshop oft als Befreiung erleben, da auf einmal ihre Stimme und ihre Expertise gefragt ist. Allerdings können sich gefühlt weit über 90% der Entscheider und Mitarbeiter vorab nicht einmal ansatzweise das mögliche Potential einer solchen Maßnahme vorstellen, wenn es noch nie im Unternehmen angewendet wurde. Deshalb wird vieles vorab auch gerne totgeredet.

Außerdem ist fraglich, ob ein „kreatives Chaos“ wirklich zu mehr Innovation führt, wie es von Kritikern gerne unterstellt wird, oder führt nicht eine mit 5S und klaren Zuständigkeiten ordentlich strukturierte Entwicklungsabteilung letztlich zu mehr Erfolg. Einmal aufräumen und Ordnung halten und die notwendigen Hilfsmittel sind deutlich schneller gefunden. Allein was eine klar strukturierte Verzeichnisstruktur auf den Servern an Suchzeit einsparen könnte.

Daher sind Operational Excellence und Innovation keineswegs sich zwei ausschließende Philosophien. Vielmehr findet bei gekonnter Anwendung und Umsetzung eine gegenseitige Bereicherung statt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass etliche Innovationsmethoden ihren Einzug in den Six Sigma DMAIC – Zyklus gefunden haben.

Oftmals fehlt einfach nur das gegenseitige Verständnis und der Wille auch mal über den eigenen Methodenrand hinauszuschauen.