„Ich bin halt kein kreativer Mensch!“ ist eine häufige Antwort von Erwachsenen, die bei dem Versuch querzudenken, um alternative Lösungsvorschläge zu erarbeiten, nicht auf Anhieb die gewünschten Ergebnisse erzielen. Nur haben sie recht? Gibt es Menschen, die nicht kreativ sind?

Kreativität als Begriff umfasst so viele Wege und Arten, dass es schwerfällt, jemandem diese Kompetenz komplett abzusprechen. Aber ja, es gibt hochkreative Menschen und wiederum Personen, bei denen die Denkansätze noch nicht in die eigene Komfortzone fallen. Interessant ist dabei die Tatsache, dass die Kreativität mit dem Alter korreliert. Eine Studie des US-amerikanischen Wissenschaftlers George Land evaluierte, dass 98 Prozent aller Kleinkinder hochkreativ sind. Bis zum 10. Lebensjahr reduziert sich der Anteil der Hochkreativen auf 30 Prozent, während im Erwachsenenalter nur noch 2 Prozent dort eingestuft werden (siehe Barth, Philipp: Das Buch für Ideensucher (2016), S. 33).

 

Verlernen wir also die Kreativität im Prozess des Erwachsenwerdens?

Die Forscher der Studie kommen zu dem Schluss, dass im Kindesalter die Kreativität Teil der natürlichen Entwicklung ist. Kinder sind durch ihre Unbedarftheit auf ganz natürliche Art und Weise kreativ, um ihr Umfeld zu entdecken. Durch die zunehmende Fokussierung auf Schule und Beruf sowie die Übernahme von Verantwortung für tägliche Aufgaben wird der Freiraum für kreative Betätigungen vermeintlich eingeschränkt. Bei vielen geht die kindliche Neugierde in diesen Jahren verloren und damit auch die Fähigkeit, sich unbekannten Dingen und Sachverhalten auf unterschiedlichste Arten zu nähern. Das Handeln wird zunehmend von Routinen geprägt und es etablieren sich Glaubenssätze. Hinzu kommt das Fachwissen als Sicherheitsanker, welcher uns besonders im Berufsleben auf viele Fragen eine vermeintlich eindeutige Lösung haben lässt. Als Konsequenz dieser Umstände werden die vorhandenen kreativen Gedankengänge weniger genutzt bzw. erst gar nicht zugelassen und letztendlich verlernen wir die Fähigkeit dazu.

Während in der Vergangenheit die Kreativität nur in einzelnen Branchen zu einer wesentlichen Kernkompetenz gehörte, verändert sich diese Anforderung rasant. Die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung führen zum Wegfall von Routinetätigkeiten sowie zu immer kürzeren Entwicklungszeiten. Damit wird die Kreativität zu einer Grundvoraussetzung am Arbeitsmarkt. Sie hilft, die komplexen, ungelösten Probleme anzugehen und innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln.

Es stellt sich also die Frage, wie diese neue Kernkompetenz entwickelt werden kann oder ob wenig kreative Menschen sich damit abfinden müssen, auf dem Arbeitsmarkt ins Hintertreffen zu geraten. Die klare Botschaft: Die Entwicklung der Kreativität kann aktiv gefördert werden!

Dabei muss die Steigerung der eigenen Kreativität als längerer Prozess verstanden werden und nicht als „Klick“, der sich durch einen einzelnen Impuls einstellt.

Folgende vier Schritte können helfen, die eigene Kreativität zu steigern:

  1. Routinen sowie Glaubenssätze erkennen und aktiv durchbrechen.
  2. Kreative Impulse wahrnehmen und den eigenen Kreativstil finden.
  3. Kreativmethoden kennenlernen und verstehen.
  4. Impulse und Methoden in den Alltag integrieren und regelmäßig wiederholen.

Die Entwicklung der Kreativität kann
aktiv gefördert werden!

Einer der am meisten verbreiteten Glaubenssätze ist der eingangs erwähnte Ausspruch: „Ich bin halt kein kreativer Mensch.“ Wer mit der Einstellung der eigenen „Nicht-Kreativität“ an eine Aufgabe herangeht oder mit seinen Bedenken im Hinterkopf versucht, auf Knopfdruck kreativ zu sein, wird mit großer Wahrscheinlichkeit eine negative selbsterfüllende Prophezeiung erleben und scheitern. Diese negative Erfahrung bestätigt und festigt die eigene Annahme über die Kreativität. Von solchen Glaubenssätzen und Denkmustern gibt es einige, die unser Handeln und unsere Wahrnehmung beeinflussen und durch Routinen bestätigt bzw. verstärkt werden. Eine wichtige Aufgabe auf dem Weg zur Kreativität ist es, sich dieses Phänomens bewusst zu werden und aktiv die Denkmuster, Glaubenssätze und Routinehandlungen zu hinterfragen und zu durchbrechen.

 

Wie kann die Umsetzung gelingen?

Versuchen Sie, Aufgaben aus Ihrem beruflichen und privaten Alltag anders anzugehen! Sie essen seit Jahren jeden Morgen um 7:15 Uhr ein Brot mit Käse und lesen dabei eine bestimmte Tageszeitung? Anschließend fahren Sie mit dem Bus ins Büro und haben Ihre Frührunde immer vor der Frühstückspause zur selben Uhrzeit, im selben Raum? Es gibt so viele Ansätze, etwas Neues auszuprobieren. Ob es aus diesem Beispiel die Tageszeitung ist, das Frühstück, das Verkehrsmittel, der Raum oder die Uhrzeit der Frührunde. Verändern Sie Ihren gewohnten Tagesablauf und beobachten Sie bewusst die Reaktion. Öffnen Sie Ihre Wahrnehmung und hinterfragen Sie auch vermeintlich eindeutige Sachverhalte.

Die neue Offenheit lässt Sie kreative Signale im Alltäglichen erkennen. Impulse zur Kreativität können zum Beispiel von Gesprächen mit Unbekannten ausgehen, bei Spaziergängen in der Natur wahrgenommen werden oder bei kulturellen Erfahrungen, wie auf Reisen oder beim Theaterbesuch. Auch bei der Beobachtung von Kindern kann viel übernommen werden. Deren grenzenlose Fantasie, die nicht direkt innerhalb von Restriktionen beginnt, ist ein gutes Vorbild.

Ist jeder Mensch auf die gleiche Weise kreativ und kann er es überhaupt sein?

Nein, Kreativität ist etwas Individuelles und verschiedene Charaktere reagieren auf unterschiedliche Impulse. Das oben abgebildete Modell ist eine Möglichkeit, die bevorzugte Denkweise von Personen als kognitive Stile in einem Quadrantenmodell zuzuordnen. Jeder Mensch tendiert mit seinem Denken mehr oder weniger stark zu einem Quadranten. Zum Beispiel denkt der analytische Mensch in Zahlen, Daten und Fakten, während für eine innovativ geprägte Persönlichkeit die Zukunft sowie die Möglichkeiten im Fokus stehen. Zwischen den Quadranten gibt es keine Wertung. Keiner ist besser als der andere.

Der kognitive Stil hat auch einen Einfluss auf die Kreativität. Deshalb kann es hilfreich sein, den eigenen Stil zu kennen und evtl. auch den der Menschen im beruflichen Umfeld. Mit dem Wissen kann man zum Beispiel ein Teammitglied hinzuziehen, das die eigene Denkweise ergänzt, um gemeinsam bessere Ergebnisse zu erzielen.

Konkrete Hilfsmittel zur Ideengenerierung und anschließenden Auswahl sind Kreativmethoden. Hier gibt es eine unendliche Anzahl an allgemeinen und speziellen Methoden, die Einzelpersonen und Gruppen in einem kreativen Prozess unterstützen. Weit verbreitete Kreativmethoden sind das Brainstorming oder Brainwriting, welche sich gut eignen, um viele Ideen in kurzer Zeit zusammenzutragen. Weitere Methoden dienen dazu, Denkblockaden zu lösen, Ideen zu vertiefen oder die eigene Perspektive zu verändern. Für jede Situation gibt es eine passende Methode. Unterschiedliche Kreativmethoden anzuwenden, zu erleben und den Nutzen zu verstehen, schafft die notwendige Akzeptanz zur weiteren Anwendung.  

 

Erwachsene lernen anders!

Wie unter anderem der amerikanische Psychologe und Neurowissenschaftler Eric Kandel erforschte, entstehen durch viele Impulse und Wiederholungen im Gedächtnis neue Synapsen. Erst die wiederholte Anwendung des Erlernten und die unterschiedlichen Impulse werden die Kreativität nachhaltig erhöhen. Kreativität kann man sich wie einen Muskel vorstellen. Er muss häufig gereizt werden, um zu wachsen, und verliert an Kraft, wenn er nicht genutzt wird. Also trainieren Sie Ihre Kreativität und überlegen Sie sich zum Beispiel beim nächsten Spaziergang zehn aufregende Urlaubsideen oder beim Bügeln zehn Ideen, die Wohnung zu verschönern. Bleiben Sie dran und nehmen Sie kreatives Denken außerhalb der Komfortzone in Ihre Komfortzone auf.