Überblick

Das Konzept des Lean-Startups geht zurück auf einen Ansatz von Eric Ries, der mit seiner Publikation „Lean Startup“ besonders in den USA sehr schnell eine breite Anhängerschaft gefunden hat. Die Idee hinter dem Konzept ist es, durch kleine Produktexperimente den Kundennutzen möglichst früh im Gründungsprozess genau zu verstehen. Anders als im klassischen Gründungsmanagement werden keine langwierigen Business Pläne aufgestellt, deren Tragfähigkeit sich erst ganz zum Schluss des Gründungsprozesses beweißt, sondern kleine Experimente mit kleinen Losgrößen durchgeführt, anhand derer messbare und evaluierbare Lernprozesse abgeleitet werden können.

Lean-Startup ist nicht nur für Gründungen interessant, sondern auch auf die Bereiche Innovation, Forschung und Entwicklung übertragbar.

Konzept

Um die Lean-Startup Methode besser zu verstehen, muss man sich den klassischen Gründungsprozess vor Augen halten. Hat man sich zu einer Gründung entschlossen und ist die Firmenidee einmal ungefähr definiert, so ist die übliche nächste Hürde die Beschaffung von Kapital. Hierzu wird ein Business Plan mit genauen Plandaten für mindestens drei Jahre aufgesetzt, der als Grundlage für Diskussionen mit den Kapitalgebern dient. Die dort geführten Gespräche sind in der Regel rein meinungsgetrieben und aus der Luft gegriffen. Man diskutiert über irgendetwas, was vielleicht eintreten könnte und spinnt mögliche Szenarien weiter und weiter. Ergebnis ist ein bis ins kleinste definierter Projektplan, der so gut wie nie eingehalten wird oder werden kann.

Ist dann das Kapital einmal vorhanden, macht sich der Großteil aller Gründer an die Produktentwicklung. Die Ziele sind hoch gesteckt genauso wie die eigenen Anforderungen ans eigene Produkt. Also wird geforscht, entwickelt, gemacht und getan. Selbst bei kleinen Gründungen (ohne nenneswertes Kapital und mit einem Team aus zwei bis drei Personen) in einem bereits existierenden Markt ist es nicht unüblich, dass 6 bis 18 Monate für die Ausarbeitung und Entwicklung des Produktes in allen Details ins Land gehen.

Merken Sie es? Bislang war der potentielle Kunde noch nicht mal ansatzweise involviert. Im klassischen Gründungsprozess wird erst ganz am Schluss des Entwicklungsprozesses das Produkt auf den Kunden losgelassen. Einer der häufigsten Phänomene ist, dass das Produkt dann schlicht weg am Kunden vorbei entwickelt wurde. Das Interesse ist nicht vorhanden oder der Nutzen wird nicht erkannt. Man hat zwar ein wirklich tolles Produkt, aber keine Abnehmer.

Vergleichbares ist analog dazu immer wieder in Forschungs- und Entwicklungsabteilungen erkennbar. Diese sind häufig dominiert von Experten, die sich mehr für die technischen „Features“ als für den marktseitigen Bedarf interessieren. Haben Sie mal versucht deutsche Ingenieure zur Entwicklung eines technisch anspruchslosen Autos für den Markt in Schwellenländern zu bewegen? Den meisten Ingenieuren kann man den Schmerz förmlich ansehen, keinen technischen Perfektionismus liefern zu dürfen. Over-engineering ist hier das Stichwort. Es geht vielmehr um die Technik und den Entwicklungsprozess an sich, als etwas für den Kundenbedarf zu entwickeln.

Lean-Startup ist hier ein radikaler und für viele auch emotional schmerzhafter Paradigmen-Wechsel. Anstelle von jahrelanger Grundlagenforschung und Produktentwicklung treten kleine, überschaubare Experimente. Diese werden immer am realen Kunden durchgeführt. Angenommen Sie möchten eine neue Internetplattform für Büroartikel erstellen. Nun können Sie zwei Jahre Angebote von Zulieferern einholen, Verträge verhandeln, die Plattform programmieren, das Corporate Design entwickeln und Marketing-Kampagnen definieren, um nachher festzustellen, dass gar kein Bedarf vorliegt. Oder Sie bauen eine kleine, kostengünstige Homepage, auf der nur Bleistifte angeboten werden, die vielleicht ein besonderes Unterscheidungsmerkmal wie z.B. eine ökologisch und ethisch einwandfreie Produktion oder einen besonders niedrigen Preis haben. Ziel ist es nicht, hier bereits Gewinne zu machen, sondern möglichst viele evaluierbare Experimente durchführen zu können.

Abhängig vom Grundkonzept lassen sich so verschiedene Fragen praktisch beantworten. Mal kann man von verschiedensten Herstellern seine Bleistifte beziehen, um den Besten zu finden, oder man versucht unterschiedliche Marketingansätze. Sind AdWords oder klassische Anzeigen sinnvoller? Bringt die direkte Ansprache von Großhändlern oder der Vertrieb über viele kleine lokale Geschäfte mehr Umsatz? Welche Plattform eignet sich am besten zur Personalbeschaffung? Und wie kann die Logistikkette organisiert werden? Wer selbst einmal gegründet hat oder für die Entwicklung neuer Produkte verantwortlich ist, wird die Vielzahl an potentiellen Fragen und Herausforderungen bestätigen können. Dies gilt selbst für das vermeindlich einfachste Businesskonzept.

Auf Grundlage der Experimente erhält man eindeutige und mit Zahlen belegbare Erkenntnisse und kann dementsprechend handeln. Man folgt also dem PDCA (Plan, Do, Check, Act) – Ansatz aus dem Lean Management. Mit jeder weiteren Versuchsrunde kann das Konzept dann weiter ausgebaut werden. Hat man dann einmal einen optimalen Weg zum Vertrieb der Bleistifte gefunden, kann man sich an das nächste Produkt begeben. Das Ergebnis kann dann ebenfalls eine umfangreiche Plattform für Büroartikel sein. Nur ist man ein deutlich geringeres Risiko eingegangen.

Ein weiterer Baustein des Lean-Startup Ansatzes ist die kleine Losgröße. Im klassischen Lean Management ist der One-Piece-Flow in der Produktion ein weit verbreiteter Ansatz, dort wo der Einsatz technisch möglich ist. Kleine Losgröße sorgen für geringe Lagerbestände und eine flexible Produktion. Für die klar abgegrenzten Experimente werden immer nur kleine und ressourcensparende Investitionen durchgeführt. Man kauft also zunächst 50 Bleistifte zu vergleichsweise hohen Stückkosten. Vielleicht werden diese ersten 50 Bleistifte mit Verlust wieder verkauft, aber das ist hier nicht der zentrale Punkt. Viel wichtiger ist das messbare Ergebnis des Versuchs. Man hat erste Kundenrückmeldungen, kennt mögliche Verkaufspreise oder Distributionskosten. So lässt sich genau berechnen, ob das Konzept unter Berücksichtigung aller zukünftigen Einsparpotentiale jemals überhaupt tragfähig sein kann oder nicht.

Mehrwert

Oftmals sind Kombinationen aus verschiedenen Ansätzen und Methoden nur ein neuer Aufguss bereits bekannter Ideen. Lean-Startup ist aber weit mehr als alter Wein in neuen Schläuchen. Besonders die Tatsache, dass der Ansatz diametral den Grundsätzen des klassischen Gründungsmanagements entgegensteht, macht es zumindest schon einmal notwendig, die Methode genauer zu betrachten.

Nichtsdestotrotz ist auch Lean-Startup nicht so einmalig wie es vielleicht den Anschein hat. Viele Ansätze finden sich in anderen Konzepten bereits wieder, so beispielsweise im Design for Six Sigma (DfSS) oder auch im Konzept „Kopf schlägt Kapital“ von Günter Faltin.

Dennoch laufen in Deutschland die meisten Gründungen, wenn überhaupt ein Konzept verfolgt wird, immer noch entlang der klassischen Gründungslehre. Der Business Plan ist die heilige Kuh, das hohe Lied aller Banken, Kapitalgeber oder sonstiger Stakeholder. Wer auch nur ein einziges Unternehmen gegründet hat weiß, dass der Business Plan mit Verlaub gesagt blanker Unsinn ist. Es ist völlig unmöglich sämtliche Eventualitäten vorab zu berücksichtigen. Das bedeutet aber nicht, dass mit Lean-Startup keine stringente Planung oder ein konsequentes Projektmanagement mehr notwendig sind. Viel mehr will Lean-Startup erreichen, dass man nicht teils jahrelang an allen möglichen Produktdetails arbeitet und diese erst spät in der Entwicklungsphase am Kunden testet. Das ist einer der zentralen Unterschiede zum klassischen Gründungsmanagement.

Lean-Startup setzt der selbstverliebten Grundlagenforschung und Ausarbeitung von sämtlichen Produktdetails im Gründungsprozess einen konsequenten Kundenfokus mit vielen kleinen, messbaren Experimenten entgegen. Jede „gescheiterte“ Gründung wird üblicherweise als wertvolle Erfahrung deklariert. Aber kaum einer hat am Ende des Prozesses eine überprüfbare, messbare und bewertbare Innovationsbilanz